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Die Ranzionierten: Kriegsentscheidend ohne Legitimation.

Der Staat zusammengebrochen, das Land vom Feind besetzt, der König weitab auf der Flucht. In den kopflosen Wirren fassen beherzte Preußen Mut und legen damit, ohne es zu ahnen, einen, wenn nicht gar den entscheidenden Grundstein für die Entscheidung im Befreiungskrieg 1813-1815: Die Ranzionierten.

Eine eigentümliche Erscheinung jener Tage, die nur aus dem großen Unglück jener Zeit, der ganzen Absonderlichkeit ihrer Lage heraus zu erklären ist, war das Auftreten jener merkwürdigen Gestalten, die sich in abenteuerlichen Verkleidungen und ebenso abenteuerlichen Bewaffnungen durch die verschneiten Wälder schlich, über Gräben und durch Gestrüpp sich den schneebedeckten Weg bahnend und vorsichtig von Baum zu Baum vorwärts dringend. Es waren sogenannte „Ranzionierte“, d.h. der französischen Gefangenschaft entwichene preußische Soldaten, die sich wieder zu ihrem Könige begeben wollten, bei ihrem Marsche durch die Wälder der Neumark Städte und verkehrsreiche Straßen meidend, nur von dem einem Wunsche beseelt, wieder zu ihrem Truppenteil zu stoßen.

Am 12. Januar 1807 traf ein Teil dieser „Ranzionierten“ in der Nähe der neumärkischen Stadt Arnswalde auf der Landstraße eine Extrapost, in welcher ein hoher französischer Offizier saß. Es war der französische Marschall Victor, Herzog von Bellune, der auf Napoleons Befehl von Warschau nach Stettin reiste, um dort oder in Stralsund das Mortiersche Korps zu übernehmen, dasselbe nach Kolberg zu führen und diese widerspenstige Festung, die so heldenmütig von Gneisenau und Nettelbeck verteidigt wurde, einzunehmen.
Beim Anblick des hohen französischen Offiziers faßten die „Ranzionierten“ sofort den Entschluß, ihn gefangen zu nehmen, um ein hohes Lösegeld zu erlangen.

Sie folgten der vierspännigen Postkutsche bis Arnswalde und bemächtigten sich hier zunächst der Waffen. Dann benachrichtigten sie die Bürger und nahmen mit ihrer Hilfe den Marschall, der inzwischen vom Posthause einen Fluchtversuch gemacht hatte, gefangen. Trotz des Widerspruchs einiger Magistratsmitglieder, welche die Rache des französischen Kaisers Napoleon fürchteten, wurde dann der Marschall mit seinen Adjutanten nach Kolberg und einige Tage später nach Danzig geführt. Die Gefangennahme des Marschalls Victor durch die „Ranzionierten“ hatte auf den Weitergang der französischen Operationen derart hemmend gewirkt, daß der Beginn der Belagerung von Kolberg dadurch um fast zwei Monate hinaus geschoben wurde. So waren die Braven selber durch eine höhere Fügung gewürdigt worden, heilsam auf die Geschicke des Vaterlandes einzuwirken.

Der Könige gab seiner Freude über die kühne Tat der „Ranzionierten“ in einer Kabinettsordre, sowie durch Geldgeschenke und Ordensauszeichnungen Ausdruck. Ein großer Teil dieser wackeren Männer trat später in das Schillsche Freikorps über. Hierdurch ist wohl das falsche Gerücht entstanden, daß Schill selbst es war, der die Gefangennahme des Marschalls Victor bewirkt habe.

Und noch zu einer anderen geschichtlich wichtigen Begebenheit sollte die Tat der braven „Ranzionierten“ in unmittelbare Beziehung treten. Eben dieser bei Arnswalde gefangene Marschall Victor war es, gegen den später ein deutscher Patriot ausgewechselt wurde, der für die weiteren Geschicke des preußischen, ja des deutschen Vaterlandes von der höchsten Wichtigkeit werden sollte: General Blücher.

Quelle: Paul Kittel – Die deutschen Befreiungskriege 1806-1815
Band 1 – https://archive.org/details/Kittel-Paul-Die-deutschen-Befreiungskriege-1806-1815-Band-1
Band 2 – https://archive.org/details/Kittel-Paul-Die-deutschen-Befreiungskriege-1806-1815-Band-2

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