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„An die Deutschen!“ Die russische Proklamation von Kalisch.

Freiherr vom Stein hatte 1813 in seiner energischen Weise eine Erklärung der Verbündeten Preußen und Russland in Vorschlag gebracht, wonach sie die feste Absicht hegten, dem Rheinbunde ein Ende zu machen. Die Fürsten und Völker Deutschlands sollten zur Teilnahme am „heiligen Kriege für die Freiheit“ aufgefordert werden und diejenigen, welche nicht innerhalb sechs Wochen ihr Zusammengehen mit den beiden Verbündeten erklären würden, sollten ihre Staaten verlieren. Die Hauptsache des neu zu bildenden Verwaltungsrates sollte in der militärischen Organisation der von der französischen Besatzung befreiten Länder, der Zivil- und Finanzverwaltung und der Verpflegung der Armee bestehen.

Der rastlosen Tätigkeit des Freiherrn vom Stein war es gelungen, am 19. März 1813 den wesentlich nach seinen Plänen abgeschlossenen Vertrag über die Bildung eines solchen „Zentralverwaltungrates“ zustande zu bringen. Zu den ersten Ergebnissen des neugebildeten Ausschusses gehörte jener unten zu findende, von Kutusow unterzeichnete Aufruf an die deutsche Nation. Als eines der merkwürdigsten Schriftstücke der damaligen Zeit, welches von einem Russen unterzeichnet, die betrübende Tatsache zeigt, daß die deutschen Fürsten, soweit sie dem Rheinbunde angehörten, sich von einem Moskowiter an die Pflichten ihrer nationalen Würde erinnern lassen mussten, als ein getreues Spiegelbild der Zeit, sei der Aufruf hier wiedergegeben:

Proklamation des Kaiserlich Russischen General-Feldmarschalls Fürsten Kutusow-Smolenskoi, Aufruf Kutusows an die Deutschen im Namen Alexanders I. und Friedrich Wilhelms III, die sog. Proklamation von Kalisch.

„An die Deutschen!“

„Indem Russlands siegreiche Heere, begleitet von denen Sr. Majestät des Königs von Preußen in Deutschland auftreten, kündigen beide Monarchen den Fürsten und Völkern Deutschlands die Rückkehr der Freiheit und Unabhängigkeit an. Sie kommen nur in der Absicht, ihnen diese entwendeten aber unveräußerlichen Stammgüter der Völker wieder erringen zu helfen, und der Wiedergeburt eines ehrwürdigen Reichs mächtigen Schutz und dauernde Gewähr zu leisten. Nur dieser große, über jede Selbstsucht erhabene und deshalb der verbündeten Monarchen allein würdige Zweck ist es, der das Vordringen ihrer Heere gebietet und leitet. Diese unter den Augen beider Monarchen, von ihren Feldherren gefühlten Heere vertrauen auf einen waltenden gerechten Gott und hoffen vollenden zu dürfen für die ganze Welt und unwiderruflich für Deutschland, was sie für sich selbst zur Abwendung des schmachvollsten Joches so rühmlich begonnen. Voll von dieser Begeisterung rücken sie heran. Ihre Losung ist Ehre und Freiheit! Möge jeder Deutsche, der des Namens noch würdig sein will, rasch und kräftig sich anschließen; möge Jeder, er sei Fürst, er sei Edler oder stehe in den Reihen der Männer des Volks, den Befreiungsplänen Russlands und Preußens beitreten mit Herz und Sinn, mit Gut und Blut, mit Leib und Leben!

Diese Gesinnung und diesen Eifer glauben die Monarchen, nach dem Geiste, welcher Russlands Siege über die zurückwankende Weltherrschaft so deutlich bezeichnet, von jedem Deutschen mit Recht erwarten zu dürfen. Und so fordern sie denn treues Mitwirken, besonders von jedem deutschen Fürsten, und wollen dabei gern voraussetzen, dass sich keiner finden werde unter ihnen, der, indem er der deutschen Sache abtrünnig sein und bleiben will, sich reif zeige der verdienten Vernichtung durch die Kraft der öffentlichen Meinung und durch die Macht gerechter Waffen. Der Rheinbund, diese trügerische Fessel, womit der Allentzweiende das erst zertrümmerte Deutschland, selbst mit Beseitigung des alten Namens neu umschlang, kann als Wirkung fremden Zwanges und als Werkzeug fremden Einflusses länger nicht geduldet werden. Vielmehr glauben die verbündeten Monarchen einem längst gehegten, nur mühsam noch in beklommener Brust zurückgehaltenen allgemeinen Volkswunsche zu begegnen, wenn sie erklären: dass die Auflösung dieses Vereins nicht anders, als in ihren bestimmten Absichten liegen könne. Hiermit ist zugleich das Verhältnis ausgesprochen, in welchem Se. Majestät der Kaiser aller Reussen zum wiedergeborenen Deutschland und zu seiner Verfassung stehen wollen. Es kann dies, da Sie den fremden Einfluss vernichtet zu sehen wünschen, kein andres sein, als eine schützende Hand über ein Werk zu halten, dessen Gestaltung ganz allein den Fürsten und Völkern Deutschlands anheim gestellt bleiben soll. Je schärfer in seinen Umrissen und Grundzügen das Werk heraustreten wird aus dem ureigenen Geiste des deutschen Volks, desto verjüngter, lebenskräftiger und in Einheit gehaltener wird Deutschland wieder unter Europas Völkern erscheinen können. Übrigens wird Se. Majestät nebst ihrem Bundesgenossen, mit dem Sie in den hier dargelegten Gesinnungen und Ansichten vollkommen einverstanden sind, dem schönen Zwecke der Befreiung Deutschlands vom fremden Joche, Ihre höchsten Anstrengungen jederzeit gewidmet sein lassen.

Frankreich, schön und stark durch sich selbst, beschäftige sich fernerhin mit der Beförderung seiner inneren Glückseligkeit. Keine äußere Macht wird diese stören wollen, keine feindliche Unternehmung wird gegen seine rechtmäßigen Grenzen gerichtet werden. Aber Frankreich wisse, dass die anderen Mächte eine fortdauernde Ruhe für ihre Völker zu erobern trachten, und nicht eher die Waffen niederlegen werden, bis der Grund zu der Unabhängigkeit aller Staaten von Europa festgesetzt und gesichert sein wird. Im Namen des Kaisers und Selbstherrschers aller Reußen und Sr. Majestät, des Königs von Preußen.
Kutusow“

Viel, sehr viel war es, was der Aufruf versprach. Sogar der Schatten des so jämmerlich zugrunde gegangenen Deutschen Reiches wird heraufbeschworen. Die beiden verbündeten Fürsten machten sich anheischig, nach der Wiedererlangung und Rückkehr der Freiheit und Unabhängigkeit „der Wiedergeburt eines ehrwürdigen Reiches mächtigen Schutz und dauernde Gewähr zu leisten“. Der autokratischste Fürst Europas, der Kaiser aller Reußen, erbot sich, „seine schützende Hand zu halten über das wiedergeborene Deutschland und seine Verfassung“, und die Gestaltung dieses Werkes sollte den Fürsten und Völkern Deutschlands anheimgestellt bleiben. Und als eine Folge dieser geistigen Wiedergeburt sollte Deutschland „nur umso verjüngter, lebenskräftiger und in Einheit gehaltener unter den übrigen Völkern Europas erscheinen.“

Diese Einheit sollte erst 58 Jahre später unter der Führung Otto von Bismarcks hergestellt werden können.

Knittel Paul – Die deutschen Befreiungskriege Band 1, 1901, Seite 414 ff

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